Wie sich die EU aus der Verantwortung für die Situation am Mittelmehr stehlen will und welche Rolle dabei die sogenannten Pullbacks spielen, darüber spricht der Jurist Omer Shatz.
Was genau ist ein Pullback?
Ein Pullback beschreibt die Verhinderung der Ausreise und Verletzung des Rechts einer jeden Person, ein Land zu verlassen. Im Gegensatz zu einem Pushback, der die Verhinderung der Ankunft beschreibt und die Verletzung des Rechts, Schutz zu suchen. Im Kontext der EU-Politik im zentralen Mittelmeer korrelieren die Begriffe: Was an libyschen Handlangern der EU liegt. Die EU orchestriert und implementiert Migrationspolitik – ihre libyschen Söldner führen sie aus.
Die EU spricht von der Rettung der Geflüchteten durch die libysche Küstenwache. Würden Sie dem zustimmen?
Nein. Die EU hat zuallererst einmal die Voraussetzungen für das massenhafte Ertrinken von Geflüchteten geschaffen, um später zu rechtfertigen, dass Überlebende in libysche Folterlager gebracht werden. So gelingt es der EU, das eigentliche Abfangen als Rettung zu framen. Tatsächlich aber fangen sie alle Boote ab, egal, ob sie in Seenot sind oder nicht. Dieses Abfangen ist keine Rettung, wenn es Menschen nicht aus der Gefahr in Sicherheit bringt, sondern dorthin, von wo sie fliehen.
Und welche Rolle spielen die Flugzeuge dabei?
Omer Shatz ist internationaler Strafrechtsanwalt, Dozent für Völkerrecht an der Universität Sciences Po in Paris und leitet die Rechtsabteilung der Initiative Front-LEX. 2019 reichte er beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eine Klage gegen EU-Beamte wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein, die im Rahmen der EU-Migrationspolitik im zentralen Mittelmeerraum begangen wurden. 2021 verklagte er Frontex zum ersten Mal in der Geschichte der EU-Grenzschutzbehörde wegen Menschenrechtsverletzungen im östlichen Mittelmeerraum vor dem EU-Gerichtshof.
Die sogenannten Pullbacks beginnen damit, dass ein Frontex-Flugzeug das Boot entdeckt. Der Standort wird dann der libyschen Küstenwache mitgeteilt. Um diese Richtlinie zu verschleiern, behauptet Frontex, dass diese Informationen auch an andere Küstenstaaten weitergegeben werden, etwa an Malta oder Italien. Aber auch die Rettungszentren in Italien und Malta informieren im Zweifelsfall zuerst die libysche Küstenwache.
Aber es ist nicht so, dass die EU kriminelle Handlungen legalisiert, indem sie diese an Libyen auslagert. Im Gegenteil: Nicht die EU „hilft“ den Libyern, Verbrechen zu begehen. Die Haupttäter sind die Europäer und die Libyer nur Gehilfen.
Woran machen Sie das fest?
Die EU handelt mit der Absicht, Menschen von Europa fernzuhalten. Sie weiß, was passiert, wenn sie die Koordinaten an die libysche Küstenwache weitergibt.
Wie ist das Verhältnis zwischen der EU und der libyschen Küstenwache?
Die libysche Küstenwache besteht aus einer Reihe von Milizen, die von der EU gesponsert und ausgebildet werden. Sie ist eine Erfindung der EU und erhält von ihr Anweisungen. In der Zeit nach Muammar al-Gaddafi hatte Libyen weder politisches Interesse noch technische Kapazitäten, um Flüchtende an der Ausreise zu hindern. Dann kam die EU ins Spiel. Bis 2011 hat die EU die Pushbacks selbst durchgeführt, aber als der Europäische Menschenrechtsgerichtshof geurteilt hat, dass das illegal ist, hat man nach jemand anderem gesucht, der sie ausführt. Aber wie gesagt, rechtlich macht es keinen Unterschied, ob die EU selbst die Geflüchtete „zurückschiebt“ – oder ob sie es Libyen befiehlt, sie „zurückzuziehen“.
Interview: Vera Deleja-Hotko, Bartholomäus von Laffert
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